Macht und Ohnmacht

Ein Kreuz

Jeder Mensch befindet sich in einem Spannungsverhältnis aus Macht und Ohnmacht. Er hat Einfluss auf seine Umgebung: ob als Kind, das die Eltern und Freunde sehr stark beeinflussen kann, ob als Eltern, die ihre Kinder erziehen, ob als Mitarbeiter in einem Unternehmen usw. Gleichzeitig wird jeder Mensch oft damit konfrontiert, ohnmächtig zusehen zu müssen, wie bestimmte Dinge sich so entwickeln, wie er es gerade nicht möchte. Ob als Kind, das hilflos zusehen muss, wie sein Spielzeug kaputt geht oder das seinem Freundeskreis entrissen wird. Ob Eltern, die zusehen müssen, wie ihre Kinder sich ganz anders entwickeln, als sie es sich gewünscht haben. Ob Angestellte, die hilflos ihre Arbeit verlieren. Ob Unternehmer, die ohnmächtig zusehen müssen, wie sich das Kaufverhalten oder andere Einflussfaktoren ändern.

Der christliche Gott offenbart sich auch in beidem:

Im Gebet spielt beides eine entscheidende Rolle. Wer Macht besitzt hat die Möglichkeit, das Reich Gottes auf Erden bereits Wirklichkeit werden zu lassen, wenn er vom Heiligen Geist geleitet wird:

Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man´s beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch (Lukas 17,20 bis 17,21)

In der Ohnmacht erkennt man, dass man die Welt nicht nach seinen persönlichen Wünschen gestalten kann, dass man immer wieder auf Gott angewiesen ist und seinen Willen suchen muss.

Macht

Beim Begriff Macht denkt man sofort an Regierungschefs, Banker und Manager, aber in Wirklichkeit hat jeder Mensch Macht. Macht bedeutet Gestaltungsspielraum. Eltern haben sehr viel Macht über ihre Kinder, sie können ihnen bestimmte Dinge erlauben oder verbieten, können sie belohnen oder sanktionieren. Ehrenamtliche haben Macht, ihr Ehrenamt mit Ideen und Leben zu füllen. Jeder arbeitende Mensch hat im Rahmen seiner Arbeit einen gewissen Gestaltungsspielraum. Klar ist, dass nicht jede Berufsgruppe gleichviel Spielraum hat. Doch es beginnt bereits da, wo man eine Arbeit voller Hingabe verrichtet, oder ob man nur das notwendigste lustlos vollbringt. Jeder Mensch hat sehr viel Macht alleine mit dem, was er sagt, weil er damit Einfluss auf andere Menschen nimmt. Doch was hat dieser Gestaltungsspielraum mit dem Gebet zu tun? Dazu ein Gleichnis von Jesus:

Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an;
dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem anderen zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und zog fort.
Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu.
Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu.
Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn.
Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen.
Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit weitere fünf Zentner gewonnen.
Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigen treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deinen Herrn Freude!
Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit zwei weitere gewonnen.
Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigen treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!
Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das deine.
Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe?
Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. (Matthäus 25,14 bis 25,27)

Dieses Gleichnis klingt wie eine Rechtfertigung des Kapitalismus, hat damit aber rein gar nichts zu tun, da es ein Gleichnis über die anvertrauten Fähigkeiten ist, die wir im Leben bekommen. Sie können eingesetzt werden, um den Heilsplan Gottes umzusetzen. Das Gleichnis zeigt auf, dass diese Fähigkeiten sehr ungleich verteilt sind. Manche Menschen können innerhalb kurzer Zeit erlernen, eine fremde Sprache fließend zu sprechen, anderen fällt schon eine Fremdsprache sehr schwer. Manche Menschen sind künstlerisch begabt, andere sind hervorragende Verwaltungsmenschen. Manche Menschen haben viele Fähigkeiten, können aber in keiner eine Spitzenleistung erbringen. Die Unterscheidungen ließen sich noch lange fortsetzen. So unterschiedlich die Fähigkeiten, so unterschiedlich die daraus folgenden Lebenswege. Sehr begabte Menschen können zu Spitzenpositionen der Gesellschaft gelangen, andere bleiben ihr Leben lang in einer niedrigen Gehaltsgruppe. Umgekehrt heißt das aber nicht, dass jeder, der eine Spitzenposition besetzt, begabt sein muss; ebenso wenig ist ein arbeitsloser Mensch unfähig. Jedem Menschen ist etwas anvertraut worden und jeder kann im Kleinen wie im Großen seine Möglichkeiten nutzen, das Reich Gottes Wirklichkeit werden zu lassen: Wenn er sein Leben an Jesus orientiert und um den Beistand durch den Heiligen Geist bittet. Das Gleichnis macht aber auch deutlich, dass wir keine Angst davor haben sollen, unsere Möglichkeiten zu nutzen - denn Gott erntet, wo er nicht gesät hat. Das setzt aber voraus, dass das Ziel der göttliche Heilsplan ist und nicht persönliche Vorteile. Wahrscheinlich hat schon jeder die Erfahrung gemacht, dass sich auf einmal Türen öffnen, von denen man zuvor noch gar nichts wusste: Neue Freundschaften, zufällige Funde, unerwartete Hilfe von anderen. Was hat es mit den Wechslern auf sich? Meine persönliche Interpretation ist: Das sind Menschen, die im Zweifelsfall mehr wissen als wir, wenn wir unsicher sind, wie wir vorgehen sollen. Dass es hierbei auch schlechte Wechsler gibt, steht außer Frage.

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? So bringt jeder gute Baum gute Früchte aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte (Matthäus 7,16 bis 7,17)

Bei allem was man tut, ist das Motiv der Handlung entscheidend: Geht man seiner Arbeit nach, nur weil man an Geld, Karriere und Ansehen interessiert ist oder weil man sich für die Sache interessiert, weil man den Menschen und bzw. oder der Schöpfung dienen möchte? Arbeitet man gewissenhaft und ehrlich oder missbraucht man seine Macht, um persönliche Vorteile zu erhalten? Hat man wirklich das Motiv, einen jungen Menschen zu fördern oder will man später nur mit ihm angeben, weil dieser Mensch ja "die eigene Tochter" oder "der eigene Sohn" ist? Hier besteht die Möglichkeit, in dem der Betende vor Gott zeigen kann, dass er guten Willens ist bzw. im Gebet sollte er sich selbst nach seinen wahren Motiven befragen, die auch Gott kennt. Bei der Arbeit, im Ehrenamt, in der Familie, in sämtlichen zwischenmenschlichen Situationen. So heißt es auch im Kolosser-Brief: Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen. (Kolosser 3,23). Wer gewissenhaft an etwas arbeitet kommt nicht daran vorbei, sich selber zu hinterfragen. Oft genug wird er auf Hilfe angewiesen sein und kann Gott durch Gebete anrufen.

Ohnmacht

Ohnmacht bedeutet, hilflos zusehen zu müssen, wie Dinge sich gegen die gewünschte Art entwickeln. Ohnmacht ist den meisten Menschen viel bewusster als Macht. Ohnmacht erlebt jeder. Gegenüber dem Vorgesetzten, gegenüber Mobbingattacken, gegenüber Krankheit und Tod, gegenüber Kriminellen, die einen ausrauben, gegenüber plötzlich einbrechenden Katastrophen, in schlimmeren Fällen sogar gegenüber staatlicher Repression. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Die Ohnmacht zieht sich auch durch die Bibel wie ein Roter Faden. Am sprichwörtlichsten geworden ist das Buch Hiob, in dem Satan Macht über Hiob bekommt und ihm alles nehmen darf bis auf sein Leben, obwohl Hiob ein gerechter Mann ist. In der Geschichte von Josef, der in den Brunnen geworfen und an die Ägypter verkauft wird, bei den Israeliten, die als Sklaven in Ägypten dienen müssen und in einer späteren Geschichte ins Exil nach Babylon geführt werden. Schließlich bei Jesus, der als Sohn Gottes den schmachvollsten Tod erleiden muss. Und Jesus kündigt seinen Jüngern sogar an, dass er sie wie Schafe mitten unter die Wölfe sendet: Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. (Matthäus 10,16).

Aus der Ohnmacht Jesus am Kreuz folgt eine urchristliche Überzeugung, die es nur im Christentum gibt: Wenn man sich völlig verlassen fühlt, ist einem Gott am allernächsten!

Der christliche Glaube verspricht also kein Leben in Macht und Reichtum, er verheißt im Gegenteil einen steinigen und steilen Weg. Das bedeutet natürlich nicht, dass man im Leben nichts genießen dürfte, aber es bedeutet, dass man auf harte Prüfungen eingestellt sein sollte. Die Not, die man auf der Erde erlebt, ist aber kein Selbstzweck. In der Not kann man seelisch wachsen und Gott finden. Doch zuerst: Nicht alles, was wir als Not bezeichnen, ist auch eine Not. Man lernt, die falschen Sorgen von den wahren Sorgen zu unterscheiden. Allerdings liegt es nicht in meiner Erkenntnis zu beurteilen, welche von allen einzelnen Nöten wahre Nöte sind und welche falsche. Finanzielle Nöte können echte Nöte sein, sie können aber auch selbst verursacht sein durch zu viel Konsum, den manche für selbstverständlich erachten. Fehlverhalten aller Art von anderen Menschen können eine Not sein, sie können aber auch eine Bereicherung sein, wenn man dadurch veranlasst wird, dieselben Fehler an sich selber zu suchen. Wie aber geht man im Gebet mit der Ohnmacht konkret um?

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